Erlerntes aus Erfahrenem

Jedes Mal wenn mit dem Pferd umgegangen oder gearbeitet wird, sammelt es Erfahrungen und lernt. Gewollt oder ungewollt. Angenehmes und Unangenehmes. Ist der Eindruck besonders stark, speichert das Pferd die Erfahrung so ab, das sie noch Jahre später verfügbar ist.

 

Das beginnt bei für uns amüsanten Dingen, wie z. B. dass es sehr schnell begreift, dass es für eine Leistung belohnt wird. Dazu muss es noch nicht einmal zu den intelligentesten seiner Art gehören. Nach wenigen Versuchen, auf Kommando an der Longe stehen zu bleiben, mit einer Leckerei für den Gehorsam belohnt, wendet es, wenn es erneut dem Kommando folgt, erwartungsvoll den Kopf in die Richtung, aus der bisher der Zucker kam.

 

Dies ist auch ein schönes Beispiel für den Unterschied zwischen Dressur, im Sinne von "dressieren“ und Reiten.

 

Das Pferd erhält ein Kommando, erfasst es und reagiert aus der Erinnerung, weil es bisher für eine bestimmte Handlung belohnt wurde. Das ist dressieren. Dabei kann der Reiter nur in etwa den Zeitpunkt und die Art der Ausführung beeinflussen, weil ein Zeitversatz beim Pferd durch hören, erfassen und ausführen entsteht.

 

Reiten basiert auf Hilfen. Diese Hilfen lösen einen physikalischen Prozess aus, dem sich kein Pferd entziehen kann. Es reagiert dabei spontan und reflexartig. Das "wie“ und "was" der Ausführung richtet sich nach der Präzision der Hilfengebung und dem Ausbildungs- bzw. Kräftigungsstand des Pferdes. Das Pferd reagiert spontan, ohne darüber "nachzudenken“ und sich für eine Handlung zu entscheiden.

 

Ein Beispiel:

 

Zwei Menschen joggen nebeneinander her. Plötzlich schubst der eine den anderen nach links zur Seite. Um sein Gleichgewicht zu halten, wird der Geschubste sein linkes Bein nach links zur Seite setzen, um nicht umzufallen. Er handelt ohne darüber nachzudenken. Spontan und reflexartig.

 

So, stark vereinfacht, funktionieren die Gewichtshilfen, auf die ich später noch intensiver eingehen werde.

 

Hinzu kommt, dass Pferde dem Menschen gefallen wollen. Sie versuchen den Wunsch des Reiters zu erraten oder ihm sogar zuvor zu kommen. Gutes Beispiel ist der fliegende Galoppwechsel. Häufig sieht man, selbst in internationalen Prüfungen, Reiter die zum Wechsel extrem den neuen äußeren Schenkel nach hinten werfen. So weit, das zu befürchten ist, das sie sich mit dem Sporn in der Schabracke verfangen. Selbst ein verwahrender Schenkel liegt nur ca. eine handbreit hinter dem Sattelgurt und damit weit von der Schabracke entfernt. Beim Wechsel von Sprung zu Sprung artet das Ganze dann in ein wedeln mit den Schenkeln, begleitet von enormem hin und her mit dem Oberkörper aus. Nicht nur falsch, sondern auch unästhetisch. Aber auch dabei lernt das Pferd. Irgendwann begreift es, was mit dem Wedeln und Hampeln von ihm erwartet wird. Anschließend gelobt, hat das Pferd gelernt auf irgendetwas einen Wechsel zu springen. Das ist dressieren und könnte statt dessen auch mit einer Trillerpfeife erreicht werden. Zeitpunkt und Ausführung sind für den Reiter vollkommen ungewiss, weil das Pferd erst dann wechselt, wenn es verstanden hat, was es soll. Folglich kann der Reiter die Art der Ausführung nicht beeinflussen, da er den Moment des Wechsels nicht kennt. In Protokollen ist dann oft zu lesen "Wechsel auf zweite Hilfe", weil der Zeitversatz zwischen Hilfe und Ausführung deutlich zu sehen ist. Ein Grund, warum so viele Reiter - und ich schreibe bewusst "Reiter" - Probleme mit den Serienwechsel haben. Gesunde Pferde haben damit überhaupt keine Probleme.

 

Das Pferd muss also ständig erraten, was der Reiter von ihm will und bietet dem Reiter etwas an. Immer in der Hoffnung das Richtige zu vermuten. Mit der Zeit lernt es die Bewegungen seines Reiters zu deuten. Die Ernüchterung kommt für den Reiter beim Pferdewechsel, besonders bei jungen Pferden, die diese "Hilfen" noch nicht kennen. Mit Reiten hat das wenig zu tun. Und mit Gehorsam auch nicht. Es gibt nichts unangenehmeres, als ein Pferd das anfängt eigenständig zu produzieren, weil es die nächste Übung erraten will. Schlimmer noch, da der Reiter unklar in seiner Hilfe war, das Pferd deshalb das falsche geraten hat, wird es für diesen angeblichen Fehler bestraft. Kaum ein Tier erinnert sich besser an die erste zu Unrecht erhaltene Strafe, als ein Pferd.

 

Es muss aber nicht unbedingt falsche Hilfengebung sein. Durchschnittlich intelligente Pferde bieten spätestens nach der dritten Wiederholung einer Übung an der gleichen Stelle, beim vierten Mal, die Übung von allein an oder kommen den Hilfen zuvor.  Ebenso das Geländepferd, das unruhig wird, wenn es in die Nähe der üblichen Galoppstrecke kommt.

 

Ein weiterer Aspekt ist, dass Pferde dem Wunsch des Reiters, auf möglichst bequeme Art nachkommen wollen. Ein schönes Beispiel ist das angaloppieren aus dem Schritt. Ist das Pferd noch nicht genügend gefestigt für diese sehr schwere Übung, galoppiert es über Trab an. Diese Übung ist deshalb so schwer, weil korrekt ausgeführt, das Pferd auf dem äußeren Hinterbein angaloppiert. Dabei muss es sein eigenes und das Gewicht des Reiters auf einer Fläche von ca. 15 mal 15 cm, auf einem Bein, ausbalancieren und die gesamte Last gegen die Schwerkraft anheben. Wenn jetzt der Reiter sich auch noch bewegt und/oder das Heben von Kopf und Hals nicht zulässt, hat besonders ein junges Pferd, kaum eine Chance auf Erfolg. Vor allem wenn der Kopf des Pferdes mit den Zügeln unten gehalten wird, findet das Pferd irgendwann einen Ausweg. Meistens darin, die Hinterhand fehlerhaft nach innen herein zu nehmen. Damit gelingt das Angaloppieren aus dem Schritt, auch bei heruntergezogenem Kopf. Bemerkt der Reiter diesen Fehler nicht und lobt das Pferd für dieses fehlerhafte Angaloppieren, bestätigt er dem Pferd die Richtigkeit einer falschen Ausführung. Dieser Fehler wiederholt sich dann jedes Mal, wenn das Pferd Last auf der Hinterhand aufnehmen soll. Bei Rückführungen, Paraden zum Halt usw.

 

Das Pferd hat dabei nicht nur gelernt eine falsche Ausführung für richtig zu halten. Es hat dabei auch einen Weg kennengelernt, wenn es dann die Übung korrekt ausführen soll, sich der damit verbundenen Anstrengung zu entziehen. Warum schwer, wenn es auch einfacher geht, denkt sich das Pferd. Deshalb sind Korrekturen selten 100 %ig. Ist der Reiter auch nur einen Augenblick unaufmerksam, fällt das Pferd sofort in den alten Fehler zurück. Meistens dann, wenn man es überhaupt nicht gebrauchen kann.

 

Dem Pferd solche Waffen in die Hand zu geben, muss unter allen Umständen vermieden werden und ist vermeidbar. Ebenfalls eine Anforderung an den "denkenden Reiter".

 

Dabei darf die Verwirrung und der Verlust an Vertrauen nicht unterschätzt werden. Das Pferd wurde über einen langen Zeitraum für eine Ausführung gelobt und hielt sie damit für richtig. Jetzt wird es, weil der Reiter bessere Erkenntnisse hat, für die gleiche Ausführung eventuell sogar bestraft. Wie bereits erwähnt, es müssen dabei nicht unbedingt Schläge sein. Schon das wiederholen und neu ansetzen empfinden manche Pferde bereits als Strafe.

 

Es ist also keine Macke pedantischer Reitlehrer, wenn sie ständig an Sitz und Einwirkung herummäkeln. Jede Hilfe, egal ob richtig oder falsch gegeben, löst einen physikalischen Prozess aus, auf den das Pferd reagieren muss. Ist die Einwirkung fehlerhaft, kommt auch nur eine fehlerhafte Ausführung durch das Pferd dabei heraus.