Der Begriff "Klassische Reitkunst"

"Nach klassischen Grundsätzen" oder "klassischen Prinzipien"….. auch der Letzte hat verstanden, dass es werbewirksam und lukrativ ist auf dieser Welle mitzuschwimmen. Andere versuchen die klassische Reitkunst mit Mystik zu umgeben, um sich auf diese Weise hervor zu heben. Dem gegenüber stehen Äußerungen wie:

 

"Das ist was für die Barockszene und geht nur mit Barockpferden wie Lipizzanern"

 

oder noch schlimmer

 

"Das sind veralterte, rüde Methoden, die heute keine Berechtigungen mehr haben"

 

Damit wird allerdings nur zum Ausdruck gebracht, dass man sich kaum oder überhaupt nicht mit klassischer Reitkunst und ihren Grundsätzen beschäftigt hat. Besonders wenn dann noch von einer "Reitweise" die Rede ist.

 

Aber was ist sie nun, die klassische Reitkunst? Simpel ausgedrückt:

 

Die Kenntnis und die Anwendung von jahrhunderte lang gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse über die Psyche, Physis und Ausbildung des Pferdes. Das Ziel ist es  durch systematische, gewaltfreie Arbeit ein Reitpferd zu erziehen, das gehorsam, gewandt und ruhig ist, freiwillig mittätig, dabei bequem für den Reiter und angenehm in seinen Bewegungen. Gleichgültig für welchen Einsatzzweck, ob als Dressur-, Spring-, Vielseitigkeits- oder Gebrauchspferd.

 

Das umschreibt, ist aber wenig konkret.

 

Für de la Guérinière war das Ziel "Reitkunst", konkret definiert, erreicht, wenn das Pferd, durch systematische Arbeit, so geschmeidig geworden war, das der Reiter es einhändig auf einem Quadrat von ca. 10 mal 10 Metern in allen Gangarten und Seitengängen zwanglos und harmonisch bewegen konnte. Die Größe des Quadrats war schon damals immer abhängig von der Größe des Pferdes.

 

Das ist kein ideelles Wunschdenken, sondern ein real erreichbares Ziel. Dabei haben die Pferde meist weniger Probleme damit. Die haben eher die Reiter, die mit der schnellen Abfolge überfordert sind.

 

"Gut und schön...brauch ich in keiner Dressurprüfung und das Viereck ist 40 oder 60 mal 20"

 

Richtig! Aber wer innerhalb von drei bis vier Tritten oder Sprünge, einhändig, vorwärts und wieder rückwärts reiten kann, dabei Seitengänge zeigt und noch wendet, kontrolliert und beeinflusst jeden einzelnenTritt des Pferdes. Er beeinflusst nicht nur ob das Pferd etwas ausführt, sondern bestimmt auch noch den Grad wie das Pferd etwas ausführt. Sowohl in Art, als auch im Ausdruck. Auf 40 oder 60 Metern steht diesem Reiter eine fast unendliche Zeit zur Verfügung, eine Lektion oder einen Übergang perfekt vorzubereiten und auszuführen.

 

Albrecht sagte dazu: "Wer das kann, dem kommen 40 oder 60 Meter wie ein Spaziergang vor"

 

Es wird sicherlich nicht jeder dieses Ziel erreichen können oder wollen. Es geht auch nicht von heute auf morgen, sondern erfordert eine systematische Arbeit von mindestens fünf bis sechs Jahren, mit diesem Ziel vom ersten Tag an immer vor Augen.

 

Der Weg zu diesem Ziel, vollzieht sich in Stufen, die das Pferd nacheinander erreicht. Konsequent, vom ersten Tag an, das maximale Ziel verfolgend, führt dazu, dass das Pferd auf der jeweiligen Stufe weit überdurchschnittlich sein wird und nach oben alle Möglichkeiten offen bleiben. Niemand weiß bei einem jungen Pferd am Anfang, welche der Stufen es erreichen kann.

 

Setzt sich dabei der Reiter sein persönliches Ziel, nicht das des Pferdes, bei L oder M, wird er auf diese Weise, ein in der jeweiligen Klasse überdurchschnittliches Pferd haben.

 

Darin liegt auch der grundlegende Unterschied. Es wird nicht von Ziel zu Ziel gearbeitet, d.h. auf Klasse A, dann Klasse L usw., sondern ein Ziel, nämlich die höchste Klasse, vom ersten Tag an, verfolgt. Das erreichen der einzelnen Klassen ist dann unvermeidbar, als Prüfstein zu sehen und die Bestätigung der bisherigen Arbeit. Darauf werde ich später noch genauer eingehen.

 

Klassische Reitkunst ist eine Lehre, die auf feststehenden Grundsätzen basiert, aber verschiedene Wege kennt. Denn so Podhajsky:

 

"Es gibt viele Wege....Jeder Weg ist der richtige Weg, wenn an seinem Ende Reitkunst steht."

 

Sie ist aber auch eine geistige Haltung gegenüber dem Partner Pferd und dem Reiten an sich. Die Reittechnik nimmt in der Reitkunst lediglich einen Raum von fünfzehn Prozent ein, die leicht innerhalb eines Jahres zu erlernen ist. Der restliche Teil ist das Wissen um die Psyche und die Physis des Pferdes, die Naturgesetze denen jedes Pferd unterworfen ist, die Erfahrung dieses Wissen richtig einzusetzen und das Gefühl für Pferde zu haben oder zu entwickeln. Aber auch die geistige Haltung gegenüber dem Pferd. Albrecht sagte dazu:

 

"Sie müssen ein Pferd bitten und nicht zwingen. Behandeln Sie es gleichwertig und gleichgestellt, wie einen Freund"

 

Der überwiegende Teil des Wissens um die Reitkunst wurde mündlich überliefert. Das war Segen und Fluch zu gleich. Der Segen war, das die Weitergabe immer im Zusammenhang mit der praktischen Unterweisung stand. Der Fluch, dass durch "Abschauen wollen" Raum für Missverständnisse und Fehlinterpretationen entstand. Den gleichen Fluch treffen aber auch die Werke der großen Meister, weil der Mensch dazu neigt das zu lesen, was er lesen will und nicht was geschrieben steht bzw. gemeint war.  

 

Als Leitfaden sind die Werke der folgenden Meister klassischer Reitkunst anzusehen, da sie sich in nichts widersprechen,:

 

François Robichon de la Guérinière,

Maximilian Ritter von Weyrother,

Louis Seeger,

Freiherr von Oeynhausen,

 

darüber hinaus:

 

Die Directiven von  Holbein von Holbeinsberg und Oberbereiter Johann Meixner

 

sowie die Werke von:

 

Gustav Steinbrecht*,

Alois Podhajsky,

Kurt Albrecht

 

 

 

* "Das Gymnasium des Pferdes" wurde bereits im Anhang zu den"Directiven"  von 1898 als maßgeblich bezeichnet. Ich erwähne das, weil auf der Internetseite einer bekannten Ausbilderin zu lesen ist, das dieses Werk erst durch Alois Podhajsky Anerkennung in der Spanischen Hofreitschule gefunden haben soll.