Die Konzentration

Auf einem Lehrgang mit Reitern, die teilweise schon Erfahrung in FEI-Prüfungen hatten, stellte Kurt Albrecht folgende Fragen:

 

"Wenn Sie sich auf eine Aufgabe konzentrieren müssen, die sehr knifflig ist und Ihre ganze Aufmerksamkeit erfordert. Wie lange können Sie sich darauf ohne Fehler zu machen konzentrieren?"

 

Die Gruppe einigte sich auf 1 Stunde.

 

"Wie oft in der Woche sind Sie in der Lage eine derartige Konzentration und absolute Höchstleistung im Sattel zu erbringen?"

 

Die Gruppe einigte sich auf 2 bis 3 mal.

 

" Wenn man davon ausgeht, das ein Pferd nur 10 % der Intelligenz eines Menschen besitzt, dann besitzt es auch nur 10 % der Konzentrationsfähigkeit. Das sind dann nach Ihrer Auskunft 6 Minuten. Verlangt werden aber 60 bis 90 Minuten. Und Sie verlangen es auch nicht nur 2 oder 3 mal in der Woche, sondern jeden Tag."

 

Für die Praxis bedeutet das, das der Reiter sich gezielt eine Übung oder Übungsfolge von nicht länger als 4 Minuten vornimmt. Je jünger und untrainierter  das Pferd, um so kürzer. Danach eine kurze Pause im Schritt, mit einer Dauer von ca. einer langen Seite. War die Ausführung korrekt, wird die Übung heute nicht wiederholt. Beim ersten Fehler wird die Übung abgebrochen und neu, von vorn, begonnen. Wird die Übung neu begonnen, muss der Reiter absolut konzentriert auf korrekten Sitz und Einwirkung achten, damit die Übung gelingt. Ansonsten lernt das Pferd, das Fehler zu einer Erholungspause führen. Gelingt die Übung trotz korrekter Einwirkung nicht, war die Übung entweder vom Zeitpunkt am heutigen Tag unpassend oder hat dem Ausbildungsstand des Pferdes nicht entsprochen. Das Abbrechen der Übung ist erforderlich um nicht unnütz Konzentration und Kräfte des Pferdes zu vergeuden. Deshalb verbietet sich auch das monotone Runde um Runde traben oder galoppieren auf der ganzen Bahn oder dem Zirkel. Diese Arbeit fördert auch die Langeweile des Pferdes und schafft zusätzliche Probleme. Bei Pferden mit Temperamentsfehlern, kann eine monotone Arbeit hilfreich sein. Solche Pferde gehören jedoch in erfahrene Hände. Zu korrigieren sind solche Fehler kaum und wenn, ist es meist nur auf den Korrektor beschränkt. D. h. der Korrektor hat das Pferd im Griff, außer ihm aber kein Zweiter. Wird eine gelungene Übung nicht wiederholt, verbunden mit einem Lob oder einer Leckerei, lernt das Pferd sehr schnell, das eine gute Leistung Angenehmes zur Folge hat. Besonders wenn die schlechte Leistung die Wiederholung zur Folge hat. Konsequenz beim Reiter ist hier sehr wichtig. Das Pferd lernt durch Erfolg und Misserfolg, nicht durch permanentes Wiederholen einer Übung. Etwas intelligenter sind die Pferde schon. Ich kann mich sehr gut an ein ehemaliges Grand-Prix-Pferd erinnern, das 10 Jahre lang von einer älteren Dame ausschließlich im Gelände spazieren geritten worden war. Auf eine kleine Aufforderung piaffierte es. Etwas eingerostet, es war immerhin 23 Jahre alt, aber es piaffierte. Einmal gelernt, vergessen die Pferde nicht wieder.

 

Natürlich gibt es Tage, an denen nichts klappt. Man hat die falschen Übungen gewählt, der Reiter selbst oder das Pferd sind nicht 100 %ig bei der Sache. Reiter haben für sich immer eine Entschuldigung, warum es jetzt nicht klappt. Das ist auch in Ordnung, wenn dies auch für das Pferd gilt.

 

Kurt Albrecht hatte dafür einen Trost:

 

"Ein Jahr hat 365 Tage. Wenn es an 35 Tagen nicht geklappt hat, dann gab es trotzdem 330 Tage an denen es klappte. Nur wenn sich das Verhältnis umkehrt, wird es bedenklich"   

 

Aber noch zwei weitere Phänomene sind bei der Arbeit mit einem Pferd zu beachten.

Auch hier zog Kurt Albrecht Gleichnisse heran:

 

"Sie gehen morgens ins Büro. Kochen sich erstmal gemütlich einen Kaffee, trinken ihn, lesen dabei eine halbe Stunde Zeitung und halten anschließend im Nachbarbüro eine Stunde lang ein Schwätzchen mit den Kollegen… wie viel Lust haben Sie jetzt noch Ihre Arbeit zu beginnen? Es fällt Ihnen schwer sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Beginnen Sie Ihre Arbeit aber sofort, haben Sie nach 2 Stunden konzentriert eine ganze Menge geleistet."

 

"Sie wollen auf einen Berg steigen. Der Aufstieg dauert sechs Stunden. Nach einer halben Stunde rasten Sie 15 Minuten. Nach weiteren 30 Minuten, wieder 15 Minuten Rast usw.. Spätestens nach der 4. Rast haben Sie keine Lust mehr den Gipfel zu erreichen."

 

Für die Praxis bedeutet das, Schritt am Anfang so lang wie nötig, in Anlehnung und Beschäftigung des Pferdes, um diese Zeit zu überbrücken. Nicht am hingegebenen Zügel das Pferd sich mehr oder weniger selbst überlassen. Nach der Lösungsphase, die wirklich nur den Zweck der Lösung haben soll, Übungen die viel Kraft und Konzentration vom Pferd verlangen, an den Anfang der Arbeit stellen. Eine Lösungsphase nach dem Schritt von 20 oder mehr Minuten, bei einem älteren Pferd, ist ein Hinweis, das hier entweder Fehler in der Arbeit, oder psychische und/oder physische Probleme beim Pferd vorliegen. Die Pausen, wie bereits beschrieben kurz halten, in Anlehnung und maximal am langen Zügel. Das hingeben der Zügel signalisiert dem Pferd das Ende der Arbeit und wird genau dafür eingesetzt. Daraus ergibt sich auch, das längere Pausen um ein Schwätzchen zu halten oder gar im Sattel zu telefonieren, die Konzentration des Pferdes, des Reiters und auch der anderen Reiter stören bzw. unmöglich machen. Nicht nur Pferden fällt es schwer, nach dem einläuten des Feierabends die Arbeit erneut konzentriert wieder aufzunehmen.

 

Haushalten mit den Kräften und der Konzentration des Pferdes ist ein weiteres Merkmal des "denkenden Reiters"