Psyche und Physis des Pferdes

Jeder der sich mit Pferden beschäftigt, muss sich im Klaren sein, dass die Psyche und die Physis der Dreh- und Angelpunkt sind. Auftretende Probleme in der Ausbildung haben hier ihre Wurzel. Hier liegt der Schlüssel zu Erfolg und Misserfolg, sowohl für den Freizeitreiter, als auch für jene die höchste Ziele für sich und ihr Pferd anstreben.

 

"Einer der wichtigsten Grundsätze ist, dass man sein Pferd  verstehen und sich mit ihm verständigen können muss. Fehlt die Bereitschaft des Menschen, das Pferd verstehen zu wollen oder zu können, gelingt auch die Verständigung nur mangelhaft oder gar nicht."

Kurt Albrecht

 

Das Pferd ist ein sich erinnerndes, lernendes, zum Dienst gezwungenes Fluchttier. Erinnernd, weil es sich sehr gut an Dinge erinnert, die es als sehr angenehm und sehr unangenehm empfunden hat. Vor Dingen, die es ängstigen, flieht oder sich ihnen entzieht. Lernend durch Erfolg und Misserfolg. Seinem Instinkt folgt und kein berechnetes Vorgehen kennt… auch wenn es immer wieder behauptet wird, wenn es zu einer Reihe erlernten und erfahrenen Verhaltens gekommen ist. Ein Lebewesen, das Stimmungsschwankungen kennt, eine hohe Leidensfähigkeit besitzt und sich, bis auf äußerst vereinzelte Ausnahmen, dem Ranghöheren unterordnet. 

 

Kein Pferd kommt böse oder widerspenstig auf die Welt. Ein Pferd, so wie es sich uns heute darstellt, ist die Summe seiner Erfahrungen. Es wurde zu dem gemacht was es ist.

 

"Angewohnheiten, die einige Pferde annehmen, entstehen nicht aus inneren Fehlern, oft ist es die Schuld derer, die sie anfänglich schlecht geritten haben. Sind diese Angewohnheiten einmal eingewurzelt, so sind sie weit schwerer zu verbessern, als eine natürliche schlechte Veranlagung."

François Robichon de la Guérinière

 

Unter einer schlechten Veranlagung verstand er, ein von der Norm abweichendes Pferd, also sehr ängstlich, sehr träge, aber auch Gebäudemängel.

 

Um sich die Psyche des Pferdes nutzbar zu machen, genügt meist schon gesunder Menschenverstand, ohne es dabei zu vermenschlichen. Man nutzt das gute Erinnerungsvermögen des Pferdes. Heute nennt man es "positive Verstärkung", früher schlicht "Lob" oder "Belohnung". Also nichts Neues. Gemeint ist allerdings nicht das schallende Klatschen des Pferdehalses, das mehr für die Zuschauer gedacht ist.

 

Sehr sensible Typen begnügen sich schon mit einer kurzen Unterbrechung oder gar der Beendigung der Arbeit. Den Zusammenhang gute Leistung und Ende der Arbeit begreifen viele Pferde sehr schnell. Was werden diese Pferde wohl in Erinnerung behalten, wenn zum Dank für gute Leistung und weil es heute so gut klappt, die Arbeit um 15 oder mehr Minuten auch noch verlängert wird. Was würde ein so behandelter Mensch denken. Würde der sich freiwillig am nächsten Tag anstrengen?

 

Etwas materialistischer eingestellten Typen reicht das allein nicht aus. Hier sind Zucker o. ä. gefragt. Bei diesen Typen eine Wunderwaffe, hundertmal stärker als jede Strafe. Geschickte Ausbilder geben diesen Pferden, außerhalb der Arbeit, weder einen Apfel, noch eine Karotte oder sonst irgendeine Leckerei.

 

Die weit aus größte Herausforderung bilden Rangordnung und der Umstand, dass das Pferd zum Dienst gezwungen wird. Die Herausforderung besteht darin das Pferd unterzuordnen und zur freiwilligen Mitarbeit zu animieren. Wohl gemerkt!  Unterordnen! Denn zwischen Unterordnung und Unterwerfung besteht ein himmelweiter Unterschied. Ebenso wohl gemerkt! Zur Mitarbeit animieren und nicht wie einen Pudel dressieren.

 

Untergeordnet erkennt ein Pferd seinen Platz gegenüber dem Ranghöheren an. Freiwillig, voller Vertrauen zum Ranghöheren und ohne Furcht, denn die "Pferde-Herde" kennt die Demütigung nach der Unterordnung nicht. Dem Menschen ist dies leider nicht so fremd. Mit Ängstlichkeit, Wankelmut, zuviel Ehrgeiz und Unbeherrschtheit verliert der Reiter sehr schnell dieses Vertrauen und damit auch seine Position. Einmalige Unterordnung reicht also nicht. Aber darauf werde ich an anderer Stelle noch näher eingehen.

 

Einseitig  rohe Kraft und Gewalt führt zu einer Unterwerfung und möglicherweise vorübergehend auch zum Ziel. Sobald sich aber das Kräfteverhältnis zu Gunsten des Pferdes ändert, wird sich dieses, wie jedes unterdrückte Wesen, Luft verschaffen. Pferde die sich so verhalten, werden schnell und zu Unrecht als "Verbrecher" abgestempelt. Die weniger selbstbeewussten Pferde, resignieren vor der Gewalt und verlieren für immer Glanz und Ausdruck .         

 

"Reitkunst bemisst sich nicht am Schwierigkeitsgrad bestimmter Übungen, sondern einzig am Grad der Übereinstimmung von Reiter und Pferd und dem sichtbaren Ausdruck und Eindruck, den sie beim Betrachter hinterlassen."

Kurt Albrecht

 

Es genügt aber nicht, das Pferd nur unterzuordnen. Der Reiter muss auch eine Art Animateur sein. Dem Pferd den Spaß an der Arbeit nicht nur erhalten, sondern ihm die Arbeit als etwas Angenehmes zu vermitteln. Erreichen, das das Pferd freiwillig mitarbeitet und sich um gute Leistungen bemüht. Dazu muss er beim Pferd auch das unerschütterliche Vertrauen aufbauen, das sein Reiter nie mehr von ihm verlangt, als es momentan zu leisten im Stande ist.  Kein Lebewesen das immer nur gefordert oder gar überfordert wird, engagiert sich. Es fühlt sich gezwungen und erledigt einen Job. Mehr aber auch nicht. Hier ist der "denkende Reiter" gefragt. Der Grat zwischen Forderung und Überforderung ist sehr schmal und kann innerhalb von drei Trabtritten liegen. Empfindsame Pferde fühlen sich schon durch das mehrfache wiederholen einer Übung bestraft. Robustere Typen empfinden dagegen zu große Nachgiebigkeit als Schwäche. Wie im richtigen Leben.

 

Es ist also von grundlegender Bedeutung für die Ausbildung und Arbeit mit Pferden, dass der Reiter das Vertrauen seines Pferdes erlangt, es unterordnet und zur tätigen Mithilfe animiert. Eine Aufgabe, die mit ungeheuerer Disziplin, Selbstbeherrschung, Wissen und Gefühl für den Reiter verbunden ist.

 

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