Überforderung

Überforderungen beim Pferd gliedern sich in zwei Arten. Einmal in einer psychischen Überforderung und einer körperlichen, physischen Überforderung. Meistens löst eine andauernde körperliche Überforderung zusätzlich eine psychische Überforderung aus.

 

Jedes lernende Wesen ist durch das Neue und Fremde, mehr oder weniger einer psychischen Überforderung ausgesetzt. Es ist hier Aufgabe des Reiters oder Ausbilders den Zeitrahmen und die Anforderungen so zu wählen, dass die Überforderung so gering wie möglich ausfällt. Aber auch gestörte Kommunikation zwischen Reiter und Pferd, bedingt durch Sitz- und Einwirkungsfehler, lösen beim jungen Pferd Stress aus. Es versteht seine Aufgabe nicht und reagiert mit Angst. Die richtigen Hilfen beruhen auf physikalischen Gesetzen, denen sich auch ein junges Pferd nicht entziehen kann, wenn sie korrekt angewendet werden.

 

Grundsätzlich gilt:

 

"Die Grundausbildung eines Pferdes dauert ungefähr ein Jahr. Wer diese Zeit verkürzen will, muss wichtige Teile der Ausbildung weg lassen. Alle Fehler, die in dieser Zeit entstehen, werden sich wie ein roter Faden durch das gesamte Pferdeleben ziehen"

 

Dieser Zeitrahmen für die Grundausbildung gilt grundsätzlich und ist unabhängig vom Alter des Pferdes. Beim jungen Pferd Überforderungen zu vermeiden, ist für den erfahrenen Reiter relativ einfach, wenn er die Anzeichen kennt, mit denen das Pferd die Überforderung signalisiert. Auch hier besteht ein großer Raum für Fehldeutungen. Ein sich verhaltendes Pferd ist nicht unbedingt faul, die Ursache kann auch Unsicherheit wegen noch fehlendem Gleichgewicht sein. Energisches Vorwärtsreiten kann dann schon zu einer psychischen Überforderung führen, die sich oft von einem auf den anderen Tag in stürmisches Davonlaufen äußert. Bei älteren Pferden die schon länger Überforderungen ausgesetzt waren, muss schon von "Korrektur" der Ausbildung gesprochen werden. Ich empfehle grundsätzlich bei offenen Widersetzlichkeiten zu erst die Frage körperlicher Probleme zu klären, denn auch anhaltende Schmerzen lösen eine psychische Überforderung aus. Typische Probleme bereiten Wolfszähne, Haken, Muskelverspannungen, Bänderschwächen und verschobene Wirbel. Aber auch schlecht angepasste Zäume und Sättel, sowie mangelnder oder schlechter Beschlag können die Ursache sein. Erst dann kann eine Korrektur durch oder über einen erfahrenen Ausbilder erfolgen.

 

Vor allem muss sich der Reiter von der Vorstellung lösen, das Pferd wolle seine Grenzen austesten. Dieses eher menschliche und berechnende Verhalten, kann nicht auf Pferde übertragen werden. Dazu reicht die Intelligenzleistung beim Pferd nicht aus. Zumindest nicht in der Art, wie sie häufig beschrieben wird. In der Herde kommt es immer wieder zu Rangeleien um die Rangordnung. Die werden kurz und prägnant ausgetragen. Danach ist für Monate Ruhe. Ein Pferd das angeblich Monate lang, immer wieder, Tag für Tag, seine Grenzen unter dem Reiter austesten will, testet nicht, sondern ist schlicht widersetzlich gemacht worden. Ich betone: gemacht worden. Das kann bereits im Fohlenalter geschehen sein. Auch Regeln die für die Erziehung eines Hundes gelten, sind auf Pferde nicht anwendbar. So eine Annahme hieße Äpfel mit Birnen vergleichen. 

 

"Der Ursprung des größten Teils der Widersetzlichkeit liegt nicht immer in der Natur der Pferde. Man verlangt zu oft Dinge von Ihnen, die sie noch nicht zu leisten im Stande sind, man strengt sie zu sehr an, und will sie zu geschickt machen. Dieser große Zwang macht ihnen die Arbeit verhasst, er ermüdet sie und verdirbt Ihnen die Nerven und Sehnen. Oft sind sie zu Grunde gerichtet, wenn man gerade glaubt sie zugeritten zu haben. Übersteigt das Maß oder die Art der Arbeit ihre Kräfte, bevor sie sich genügend gekräftigt haben, so greift man ihnen den Rücken und die Knie an und verdirbt sie auf immer"

François Robichon de la Guérinière

 

Daraus ergibt sich der Merksatz:

 

"Wenn der Widerstand des Pferdes einsetzt, ist der Moment zum "Aufhören" lange überschritten."

 

Mit "Widerstand" ist schon das Verhalten des Pferdes gemeint. Wenn also ein Pferd z. B, im Schulterherein nach anfänglich guten Tritten langsamer wird und verhält, signalisiert es dem Reiter, das es nur für diese wenigen Tritte Kraft hat. Dies zu ignorieren, führt zu den Problemen die Guérinière beschrieb. Schwieriger wird es bei einem älteren Pferd, das gelernt hat, dass Widerstand der eigenen Schonung dient.

 

Deshalb meiden gute Ausbilder diesen Widerstand. Ist der Widerstand erfolgreich, lernt das Pferd seine Kräfte gegenüber dem Mensch kennen. Gute Ausbilder fordern ein Pferd auf eine Übung auszuführen, um sofort abzubrechen, wenn das Engagement nachlässt. Loben und begnügen sich mit dem Wissen, das aus den heutigen drei korrekten Tritten, in einer Woche fünf, dann 10 und in der Folge eine lange Seite wird. Es ist so! Die Fortschritte bemessen sich in Tritten und nicht in Runden.  

 

Schweißbildung am Pferd ist kein zuverlässiger Anhaltspunkt, ob die Kräfte des Pferdes überschritten wurden. Sie kann auch psychischer Natur sein.  Wer schon mal mit Hanteln trainiert hat weiß, dass der Arm oder die Beine lahm werden können, ohne das ein Tropfen Schweiß fließt. Trotzdem entsteht Muskelkater.  Übermäßige Schweißbildung ist aber in jedem Fall Zeichen einer Überforderung und jede Überforderung wirft den Ausbilder in seiner Arbeit zurück.

 

Versetzen Sie sich einmal in das Pferd. Es kommt in den Stall ist triefend nass, alle Muskeln brennen und es versteht die Welt nicht mehr, obwohl es sich nach Kräften bemüht hat. Wurde sogar eventuell gestraft, weil der Reiter sich nicht verständlich machen konnte. Diese Erinnerung behält es im Kopf. Mit welchen Gefühlen, Ängsten und vor allem welcher Motivation geht es morgen an die Arbeit? Wahrscheinlich denkt es folgendes und hat damit, ungewollt, schon etwas gelernt:

 

"Mach mal schön langsam, das wird noch anstrengend genug"

 

Auch hier ein Leitsatz, den man nicht immer erfüllen, aber sich um die Einhaltung bemühen muss:

 

"Das Pferd soll so frisch in den Stall zurückkehren, wie es ihn verlassen hat."

 

"… verdirbt Ihnen die Nerven und Sehnen" "… so greift man ihnen den Rücken und die Knie an und verdirbt sie auf immer"

 

1735 wurden diese Worte aufgeschrieben. Und noch heute sind Nervigkeit, Sehnen-, Rücken-, Knie- und Bänderprobleme ein Dauerbrenner in Ställen. Gesprächsthema Nummer 1 in Foren und Reiterstübchen. Ist es scheinbar doch nicht gelungen in fast dreihundert Jahren, trotz etlicher neuester Erkenntnisse, eine neue Methode zu entwickeln die solche Probleme verhindert. Es ist keineswegs normal, das Pferde mit 20 Jahren unbrauchbar für den Sport sind. Die Ausführungen und Begründungen zu alternativen Methoden klingen plausibel und nachvollziehbar. Ob die Schlussfolgerungen insgesamt oder für das einzelne Pferd richtig sind, wird sich in 20 – 30 Jahren herausstellen. Wollen Sie für Ihr Pferd darauf vertrauen und hoffen, das es nicht vorzeitig verschleißt oder lieber eine Methode anwenden, die den Beweis der Richtigkeit mehrfach angetreten hat. Die das Pferd gesund und leistungsfähig bis ins hohe Alter erhält. Mittlerweile gewinnt man den Eindruck, das Bänder-, Sehnen-, Muskulatur- und Rückenprobleme eine unvermeidbare Folge jeglichen Reitens sind. Dem ist aber nicht so. Diese Probleme, besonders am Fesselträger, dem Knie und dem Rücken, sind, wenn nicht unfallbedingt, Ausdruck von Überforderung und falscher Arbeit.    

   

Ich bin dankbar, dass  es heute gute Tierärzte und Physiotherapeuten gibt. Seriös und erfahren, sind sie eine große Hilfe, Ursachen, die nicht in der reiterlichen Arbeit liegen, zu beheben oder den Teufelskreis aus Schmerzen zu durchbrechen. Allerdings ist der Frust und die Machtlosigkeit in dieser Gruppe, weder zu übersehen, noch zu überhören. Über Jahre sehen sie sich Behandlungen von Knochen, Bänder, Sehnen und Muskeln beim gleichen Pferd  gegenüber, mit dem Wissen, das eine andere und bessere Arbeit unter dem Reiter erforderlich ist. Sicherlich ist durch die Arbeit nicht alles heilbar, aber eine Erleichterung und die Erhaltung der Nutzbarkeit des Pferdes ist zu erreichen. Die Pferde haben sich in Ihrer Anatomie in den letzten Jahrhunderten kaum verändert, eher verbessert,  und auch die alten Meister waren mit diesen Problemen konfrontiert. Wenn heute jemand glaubt etwas "Neues" und  "Richtiges" gefunden zu haben, kann er sicher sein, das er instinktiv oder durch Zufall, etwas entdeckt hat, das die alten Meister schon kannten. Unterstützung durch Tierärzte und Therapeuten ist für einen bestimmten Zeitraum manchmal unumgänglich. Wer aber ständig, immer wieder und über Jahre diese Hilfe benötigt, sollte den Weg auf dem er sich befindet in Frage stellen.

 

"Zu schnell, zu viel, zu früh"

 

Mit diesen Worten kann man de la Guérinière zusammen fassen. Und genau das findet noch heute, wenn auch ungewollt und unbewusst, viel häufiger statt als man glaubt.

 

Alois Podhajsky schrieb einmal:

 

"Und wenn Sie insgeheim neidisch beobachten, wie der Boxennachbar scheinbar schneller voran kommt, als Ihr Pferd, sei Ihnen als Trost gesagt:

Es wird den Boxennachbar einholen. Spätestens dann, wenn der wegen Bänder- oder Sehnenproblemen stehen muss"

 

Deshalb sind Erfahrung und Wissen wichtig. Wissen und Erfahrung versetzen den Reiter in die Lage zu entscheiden. Wer entscheidet findet Ruhe und Sicherheit. Einem Reiter der ruhig und sicher ist, fällt das Vertrauen des Pferdes als Geschenk in den Schoß.